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Anfang des Hauptinhaltes,
#telenovela

5. Februar 2025 Lea-Maria Kneisel

Wie tritt die Welt ans Bett heran?

„Ja?”
„Hi, komm rein!”
„Möchtest du einen Tee?”

So oder so ähnlich beginnt unser Gespräch an diesem Mittwochnachmittag vor Weihnachten. Auf dem Boden in der Mitte des Studios verteilen sich Sitzsäcke um eine große Schachtel Baklava. Wir setzen uns und ich stelle meine erste Frage.

Die Hauptfigur Ofelia, eine mittelalte Frau, sitzt seit langer Zeit im Bett. Sie liegt, zur Seite gelehnt, ihre Beine über die Decke geworfen, den Fernseher anstarrend. Es läuft eine südamerikanische Telenovela. Hin und wieder muss sie ihre Sitzposition justieren, immer dann, wenn das zu lange Verharren in der Position unangenehm wird oder die Falten im Bett anfangen zu kribbeln.

„Also der Text an und für sich kann in alle Richtungen gehen. Ideal wäre es, wenn er in gewisser Weise das, an dem ihr während eurer Residenz gearbeitet habt, abbildet.“, höre ich mich sagen.

#bett

Bevor Jeanne und René im letzten Sommer ihre Residenz in den Uferstudios antreten, arbeiten sie beide an unterschiedlichen Themen. Jeanne ist zuvor in einem Projekt involviert, in dem es um Bettfalten geht, René recherchiert zu südamerikanischen Telenovelas. Für die Residenz beschließen sie daher, beide Themen miteinander zu verknüpfen und zu schauen, was daraus entstehen kann. Ein Schlüsselmoment in der Vorbereitung ist die Erkenntnis, dass das Bett für beide eine zentrale Rolle in ihrem Leben spielt.

Sowohl Jeanne, als auch René, erlebten das Bett seit längerer Zeit durch ihre Gendertransition als einen Ort des Schutzes, des Rückzugs und der Selbstfindung.

Gleichzeitig jedoch bestreiten beide Künstlerinnen auch zu großen Teilen, ihren Alltag vom Bett aus: Durch Jeannes chronische Erkrankung und Renés Burnout und Depression ist ihr jeweiliges Bett ihr Lebensmittelpunkt, in dem sich Erholung und Arbeit, Regeneration und Administration miteinander vermischt. Diesem Phänomen gehen die beiden mit ihrer künstlerischen Zusammenarbeit besonders auf die Spur

Wieder eine neue Folge. Die Falten türmen sich auf zu starren Bettgebilden. Ofelia beobachtet, wie die Texturen fast wie von Geisterhand wachsen. Sie sinkt noch tiefer in die Weichheit ihres Bettes.

„Wir starteten mit vielen wichtigen Abgabefristen in die Residenz, sodass wir beide sehr beschäftigt waren und sich daraus eine sehr gleichberechtigte Hierarchie für die Zusammenarbeit ergab.“, erzählt Jeanne.

Zunächst entwerfen die beiden Künstlerinnen den Plan, das Studio in ein Bett zu transformieren. „Teil des Plans war, im Studio Fernsehen zu schauen und die Bewegungen unserer Körper dabei zu beobachten. Wir hatten überlegt, uns mit Videokameras aufzuzeichnen. Doch als der Fernseher dann im Studio stand, benutzten wir ihn nicht.“, so René.

„Wir wollen, dass der Blick von einem klischeehaften Leiden hin zu einer Darstellung vom Bett als Ort mannigfaltiger produktiver Aktivitäten gelenkt wird.“

Danach arbeiten Jeanne und René im Bett liegend. Sie kaufen große Bettbezüge und untersuchen die Falten und Texturen des Materials choreografisch. Das Ausrichten von Kissen, das Greifen nach der Fernbedienung oder das Umschlagen einer Decke werden somit zu choreografischen Elementen. Einen besonderen Schwerpunkt legen Jeanne und René auf das stetige Justieren der Körper im Bett und den damit verbundenen, sich wiederholenden subtilen Makrobewegungen, die zur Choreografie des Alltags werden.

Parallel dazu beginnen Jeanne und René jedoch auch, an einer Telenovela zu schreiben, die weder heteronormative Liebesgeschichten noch stereotype Arm-Reich-Gegensätze in den Mittelpunkt stellt, sondern vielmehr eine intime und gleichzeitig überzeichnete Darstellung ihrer eigenen Erfahrungen darstellt. Ihre Titelfigur ist Ofelia, die sich aus dem Bett heraus mit einer Erkrankung durch ihr Leben navigiert und dabei mit inneren und äußeren Konflikten ringt, die denen ähneln, mit denen die beiden Künstlerinnen konfrontiert sind. „Wir möchten, naja, wir wollen, dass der Blick von einem klischeehaften Leiden hin zu einer Darstellung vom Bett als Ort mannigfaltiger produktiver Aktivitäten gelenkt wird.“

Ofelia stemmt sich auf, die Hände in die Laken gegraben. Ihr Körper ächzt unter der ungeschmeidigen Bewegung, die die Texturen unter ihr wieder glattzieht. Ihre Hände strecken in Richtung der Fernbedienung, die auf dem Nachtschränkchen neben ihr liegt. Die Finger tasten sich Zentimeter für Zentimeter voran, bis – ja, was ist das?! Sie bleibt an einem eigenartigen Gegenstand hängen…

„Ja, wir hatten die zwei Wochen im Sommer als Beginn der Residenz. Im Sommer, ja. Aber das war auch, das ist glaube ich auch wichtig, aber... Ich weiß nicht, ob das für das Interview wichtig ist, aber... Für uns beide war wichtig, dass wir eine Pause zwischendrin hatten.“

„Wir haben nicht durchgemacht. Ja. Und dann war es... Als wir jetzt angekommen sind… Ja, wir haben... Gott, ist das riesig! Lass es dir schmecken!“

#pause

Mhhh, lecker, Baklava. Ich nehme ein großes Stück und schiebe es mir in den Mund. Es schmeckt sehr süß und nussig, der Sirup klebt mir an den Händen.

„Wir haben, also heute Morgen habe ich das gekauft. Und wir haben so viel gekauft, und schon so viel gegessen, drei davon haben wir schon, oder vier? Bitte, hau ein!“

„Was hast du als Letztes gerade gesagt? Achso, die Pause war wichtig.“ „Ja.“

Einen warmen Tee trinken, Mittags gemeinsam essen gehen – all jene Bedürfnisse, denen Jeanne und René in sonstigen Proben selten nachgehen konnten, sind in der Residenz Teil ihres künstlerischen Arbeitsprozesses, Teil des Bettes geworden, dass sie sich im Studio eingerichtet haben. In ihr Studio laden sie ebenfalls die drei ihnen vertrauten Künstler*innen Eva Königshofen, Romuald Krężel und Onur Ağbaba ein, die als Outside Eyes jeweils Jeannes und Renés künstlerischer Arbeit eine neue Perspektive hinzufügen sollen.

Es ist ein alter Keks. Er bröselt unter Ofelias Fingern. Sie möchte ihn greifen, doch es ist zu spät: Die Krümel zerstreuen sich auf das weiße Laken und hinterlassen dort eine sandige Struktur.

„Und da kommst du auch in die Welt, Lea.
In unsere Telenovela.
Dann kam sie vorbei. Was wollte sie? Warum war sie eingedrungen in unser Bett?
Es ist nicht so ganz klar, ob die Geschichte von Ofelia die Geschichte von Ofelia im Bett, oder von Ofelia im Studio ist, beziehungsweise die Möglichkeit, dass Ofelia auch mal aus dem Bett rausgehen kann in ein Studio, oder ob das Studio, das Bett, das ist alles so ein bisschen verworren, ob die Welt draußen nicht auch mal zu ihr ans Bett kommt.“

Der emotionale Höhepunkt dieser Episode ist erreicht. In der nächsten Folge werden wir mehr sehen. Das Voice Over bricht abrupt ab und man

 

Jeanne Eschert und René Alejandro Huari Mateus haben im Rahmen des Programms „Erprobungen“ des Berliner Residenzprogramms 2024 der Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt vier Wochen, im Juni/Juli 2024 sowie im Dezember 2024 in den Uferstudios geprobt. Ein Showing ihrer Arbeit fand am 30.01.2025 im Studio 6 statt.

 

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